Wenn einer Reise tut, so kann er viel erzählen. Und wer dies als Individualtourist oder Einwohner nun unbedingt mit dem Stockholmer öffentlichen Person- und Nahverkehr machen möchte oder machen muß, der sollte grundsätzlich ein paar Kenntnisse in Sachen „Fehlermeldungen“ haben, die hier und da, gerne eigentlich jeden Tag, auf den elektronischen Anzeigen von U-Bahn, Pendeltåg (S-Bahn), Bus und verschiedenen Lokalbahnen auftauchen und den Reisenden darauf hinweisen, daß eine unkomplizierte Reise von A nach B an dieser Stelle ihr plötzliches Ende findet und der Kampf ums Überleben inmitten des Stockholmer Nahverkehres unmittelbar bevorsteht.
Von großem Vorteil erweist es sich bei Reisen innerhalb Stockholms übrigens, war man/ist man noch vom >>> Berliner S-Bahn-Chaos betroffen. Die während dieses peinlichen Ereignisses erworbenen Überlebensstrategien lassen sich wunderbar auch in Stockholm anwenden, natürlich nur, versteht man die Nachrichten der hiesigen Verkehrsunternehmen und weiß sie zu deuten. Wer nun meint, er hätte diesen Vorteil nicht, da er oder sie niemals mit der Berliner S-Bahn gefahren wäre, dem sei ans Herz gelegt, daß auch >>> Reisen mit der Deutschen Bahn, wie z.B. im >>> letzten Sommer, bildet, und damit die Grundkenntnisse im Fach „Überleben im Nahverkehr“ bereits erworben sind.
Einen deutlichen Unterschied, der voraus geschickt sein soll, gibt es zu Deutschland jedoch hier in Stockholm: die totale Information. Man kann, so es dann wieder mal schiefläuft, auf Schildern und im Internet ablesen (Stichwort: mobiles Internet auf dem Handy), warum mal wieder alles steht. Sogar eine Prognose wird meistens an die Hand gereicht, wobei man hier ja nur von ungefähren Zeiten spricht. So kann als ein Beispiel meinerseits eine Fahrt vom Zentrum mit dem Pendel nach Sollentuna herhalten. Ich wußte schon bei Fahrtbeginn, daß ich irgendwann in den Schienenersatzverkehrbus müßte, der laut Schildern auch schon eingerichtet sei. Was ich allerdings bei meiner Ankunft in Ulriksdal nicht ahnen konnte: Für knapp 600 Passagiere stand nur ein Ersatzverkehrbus zur Verfügung. Wenn nun in einen Bus knapp 80 Menschen reinpassen, und weitere Züge kontinuierlich Nachschub brachten, so kann man sich nun selbst ausrechnen, wie lange ich da stand und der Dinge harrte, die da kommen sollten. Letzen Endes drehte ich mich um und gab auf, zwei Unterrichtsstunden mußte ich streichen, weil ich einfach nicht vorwärts kam. Das trieb mir natürlich den Angstschweiß auf die Stirn, allerdings brauchte ich bei meinem Anruf auf der Schule nur den Begriff „Pendel“ erwähnen, und anstatt mahnender Worte wurde mir ein Schwall Mitleid durchs Telefon geliefert. Und bevor ich nun anfange, meine täglichen Abenteuer in Sachen Stockholmer Nahverkehr aufzulisten, es passiert ja jeden Tag was, schauen wir doch lieber auf das Vokabular, damit man rechtzeitig die Flucht ergreifen kann, sitzt man irgendwo fest. [Das impliziert also: Sobald ein Ereignis der unteren Kategorien eintrifft, alle Pläne fallen lassen und möglichst das Weite suchen. Ein Spaziergang vielleicht, der so lange dauert, bis die Störung zu Ende ist.]
signalfel – Signalstörung
Die Signalstörung ist ein Ereignis, welches täglich auftritt. Dabei kann es sich um etwas harmloses handeln (eine kaputte Glühbirne, der Techniker ist auf dem Weg, da er nicht direkt in Stockholm stationiert ist, dauert es etwas) oder um einen schwerwiegenden Zwischenfall (z.B. ist der Windows-PC für die Signalüberwachung blau, und das kann dauern).
växelfel – Weichenstörung
Die Weichenstörung ist ein Ereignis, welches alles und nichts bedeuten kann. Sollte dies mehrere Minuten lang angezeigt werden, empfiehlt sich die unmittelbare Flucht. Denn dann handelt es sich nicht um eine falsch liegende Weiche, der man einfach nur gut zureden muß, damit sie wieder funktioniert, nein, dann ist damit zu rechnen, daß der blaue Windows-PC die Kontrolle zur Gänze verloren hat, ein Systemneustart kann dann dauern. Im Winter bietet sich als Grund auch immer wieder die festgefrorene Weiche an – in einem Winterland wie Schweden ist dieses Ereignis irreparabel.
framkomlighetsproblem – hohe Streckenbelastung, Stau, Streckenhindernisse
Diese Meldung hat unterschiedliche Bedeutungen. Einerseits besteht vielleicht nur eine hohe Streckenauslastung, so daß man zwar vorwärts kommt, allerdings mit einer leichten Erhöhung der Reisezeit rechnen muß. Andereseits kann es aber auch sein, daß einer der Züge einfach aufgegeben hat. In solchen Fällen bleibt dann einfach alles stehen. Dies trifft natürlich auch dann zu, wenn andere Hindernisse auf der Strecke zu beklagen sind, das Wort „Personenunfall“ wird hier in Schweden in den meisten Fällen durch andere Begriffe, wie obigen, ersetzt. Ich empfehle taktisches Vorgehen: Rollt der Verkehr, so sollte ein Abwarten nicht zu gewagt sein. Kommt aber kein Zug, und wird auch nicht eine Prognose über die Dauer dieser Störung angegeben: Flucht.
inställt pga. vagnbrist/personalbrist – fällt auf Grund von Fahrzeugmangel/Personalmangel aus
Willkommen im privatisierten Nahverkehr. Hier hat man dann so knapp kalkuliert, daß bei unvorhergesehen Ereignissen, wie technischen Defekten und Krankheit beim Fahrpersonal, keine Reserven zur Verfügung stehen. Bahnkunden aus Deutschland und Berliner S-Bahn-Reisende kennen dieses Phänomen. Und genau wie in Deutschland muß man damit rechnen, daß es zwar weitergeht, man weiß nur nicht genau wann dies der Fall sein wird. Wer Geduld hat und das „Ölsardninengefühl“ mag, dem sei ein Abwarten empfohlen. Ansonsten böte sich nur die unmittelbare und komplette Änderung der Reisepläne an.
pga. rådande väderlek – auf Grund des derzeitigen Wetters
Wem diese Meldung begegnet, der hat einen faux pass begangen: Man ist vor die Haustür gegangen. Bei Schneefall, etwas schwererem Regen oder aufziehendem Gewitter und Sommer hat man gefälligst zu Hause zu bleiben, wie man nämlich im Allgemeinen weiß, ist die Technik unserer heutigen Fahrzeuge empfindlich. Der Sommer ist ja in unseren Breitengraden in den letzten Jahren „unerwartet“ wärmer geworden, Schnee und Winter sind eine Erfindung des 21. Jahrhunderts und die Tendenz zu kräftigeren Winden und Sommerunwettern ist jedes Jahr aufs Neue eine Überraschung. Meine Empfehlung: Sofort zurück nach Hause und die nächsten 48 Stunden um Gottes Willen den ÖPNV vermeiden, man wird sonst seines Lebens nicht mehr froh! Wer wagemutig ist und den ultimativen ÖPNV-Kitzel sucht, der reist auf eigene Gefahr und muß damit rechnen, >>> irgendwo festzustecken. Auf >>> schnelle Hilfe darf nicht gehofft werden.
pga. svårt väglag – auf Grund schwieriger Straßenverhältnisse
Unter dieser Information verbirgt sich der Hinweis, daß Schnee gefallen ist und/bzw. daß die Straßen glatt sind. Dies trifft vor allem den städtischen Busverkehr, der auch schon mal >>> kurzerhand komplett eingestellt wird, weil die >>> Busse nicht mit Winterreifen ausgerüstet sind. Wir erinnern uns: Ins Skandinavien ist der Winter das Achte Weltwunder! Mein Tipp: Es hilft nichts. Entweder wagt man sich zu Fuß auf die Straßen oder das Städtewochenende in Stockholm ist dahin.
ersättningsbuss/ersättningstrafik med bussar –
Ersatzverkehrbusse/Ersatzverkehr mit Bussen
Mit dieser Meldung hat man, so es sich nicht um geplante Maßnahmen wie Bauarbeiten handelt, den Joker abgegriffen. Es gibt in diesem Fall drei Möglichkeiten: Es gibt Ersatzverkehr à la ein Bus für tausende Menschen. Es ist angedacht, daß Ersatzverkehr gefahren wird, nur ist man noch nicht sicher, wann genau ein solcher eingerichtet werden kann. In beiden Fällen hätten wir wieder die Problematik der Privatisierung und der damit einhergegangenen Optimierung des Personal- und Fahrzeugbestands, ergo also keine Reserven. Im dritten Fall schreibt man nur, ein Ersatzverkehr würde eingerichtet, jedoch will man eigentlich nur die Menschen loswerden, also weg vom Zug und Bahnsteig. Wie auch immer, in allen drei Fällen bietet es sich an, die Karte von Stockholm hervorzuholen und zu überprüfen, was nun alles zu Fuß erreicht werden kann. Fahrstrecken, die länger als eine Stunde sind, sollten überdacht und nötigenfalls abgesagt werden.
Nach diesem kurzen Exkurs in Sachen Nahverkehr sollte sich der eine oder andere doch wie zu Hause fühlen. Es darf wohl behauptet werden, daß es auch in Stockholm nicht so ganz rund läuft. Das weiß man auch in der lokalen Regierung, erhöht aber zum September hin die Preise, die Monatskarte steigt z.B. von derzeitig 690 SEK (ca. 77 €) auf 790 SEK (ca. 88 €), also um rund elf Euro. Der zuständige Politker in Sachen Stockholmer Finanzen, Torbjörn Rosdahl, hat den Unmut der Bevölkerung mit einem sehr eigenen Vergleich kommentiert: >>> Die Preise würden um drei Chipstüten erhöht. Zwar sandte er eine Entschuldigung in die Welt, der Stockholmer reagierte sehr empfindlich auf diesen Vergleich, doch vom Eis holt man die Kuh damit nicht mehr. Ich denke, dies wird spätestens zu den nächsten Kommunalwahlen wieder ein Thema.
Bis dahin gilt es, zu üben. Im Nahverkehr kann einfach nur der Überleben, der vorbereitet ist, ganz getreu dem Motto: Survival of the fittest.
Gute Reise!