Bra jobbat!

Das zumindest meinten meine Schüler am gestrigen Tage, nachdem wir die 25 km, verteilt auf zwei Tagen, in den Wäldern bei >>> Bjursås abgewandert haben. Was dann soviel heißt wie „gut gemacht“. Tja, ich habe alles mitgemacht: möderische Mücken, herabziehende Sumpfböden im Wald, Pastazubereitung über offenem Feuer, gewagte Bachüberquerung mittels eleganter Sprünge, Übernachtung im Wald und Betreuung von 58 Menschleins, die alles im Kopf hatten, außer den Anweisungen des Lehrpersonals Folge zu leisten. Schwamm drüber, wir sind alle wieder lebendig in die Zivilisation zurückgekehrt. Und ja, wider Erwarten hat dann auch eine ehemalige Stadtpflanze wie ich den Pacours „Vildmarksleden“ mit Bravour bestanden, was die Schüler zu Beginn unserer Wanderung nicht so recht glauben wollten. Mein Hinweis, daß ich schon seit 5 Jahren regelmäßig stundenlang im Wald verschwinden würde und eigentlich nur noch durch Bären geschockt werden könnte, wurde belächelt. Nun kann meiner einer zurücklächeln und sich für das „bra jobbat“ bedanken.

Ich gebe allerdings unumwunden zu, daß zumindest einmal die weiße Fahne gehißt wurde, nämlich genau dann, als einer meiner Kollegen eine Waldameise zum Verzehr anbot, der Proteine wegen. Ich habe dankend abgelehnt, mit dem Hinweis, daß mein Essen normalerweise tot auf dem Teller liegt, es wäre einfach nicht mein Ding, etwas zuckendes in den Mundraum zu überführen um es dann einer Verspeisung zuzuführen. Die Ameise durfte dann, mein Kollege hatte schon genug genascht, wieder ihrer normalen Tätigkeit nachgehen.

Interessant an dieser Stelle ist übrigens der Umgang mit der Natur hier in Schweden. Normalerweise tritt ja schon Tumult auf, läßt man ein Taschentuch im Wald herunterfallen, allerdings rührte sich kein Protest, als wir ein Auto passierten, das bereits in Symbiose mit der natürlichen Umgebung sein Dasein fristet:

2010/09/09 Vildmarksleden Bjusås [bei Andersbo] - Symbiose.
2010/09/09 Vildmarksleden Bjusås [bei Andersbo] – Symbiose.
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Auch die Forstwirtschaft scheint nicht unbedingt zimperlich mit der Natur umzugehen, immer wieder wechselte die Natur von dichtem Nadelwald mit stinkenden Sümpfen zu gähnend leeren Mondlandschaften, man erliegt mitunter einer natürlichen Verwirrung, wechselt innerhalb von zehn Metern die Umgebung von Pflanzenüberschuß zu toter Fläche:

2010/09/09 Vildmarksleden Bjusås [bei Faxberg] - Leer.
2010/09/09 Vildmarksleden Bjusås [bei Faxberg] – Leer.
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Daß man Pasta, und nun werden die Italiener sicher reihenweise in Ohnmacht fallen, vorgekocht auch mitten im Wald über offenem Feuer zubereiten kann, übrigens gespickt mit Gemüse und Kasseler [spätestens jetzt sollten alle Italiener die Flucht antreten], hat sich am Abend des Donnerstages gezeigt, als man den Ort der Übernachtung erreichte und die leeren Mägen füllen wollte:

2010/09/09 Vildmarksleden Bjusås [Flymyrskasern] - Der schiefe Turm von Pisa.
2010/09/09 Vildmarksleden Bjusås [Flymyrskasern] – Der schiefe Turm von Pisa.
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Nach überstandener Nacht im Freien, die Mücken nahmen sich dankend meines Körpers an, hatte ich, da ich früh genug aufstand, ein bißchen Zeit für mich allein, und konnte so ungestört dem Morgentau mit der Kamera zu Leibe rücken, was, wie in jedem Herbst, einfach ein paar nett anzusehende visuelle Eindrücke produziert:

2010/09/10 Vildmarksleden Bjusås [Flymyrskasern] - Morgentau.
2010/09/10 Vildmarksleden Bjusås [Flymyrskasern] – Morgentau.
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2010/09/10 Vildmarksleden Bjusås [Flymyrskasern] - Morgentau.
2010/09/10 Vildmarksleden Bjusås [Flymyrskasern] – Morgentau.
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Der krasse Wechsel zwischen lebendiger Natur, übrigens ohne Bären, auch wenn die Schüler was anderes behaupteten [wenn 58 von ihnen schreiend durch die Wälder rennen, hat ein möglich anwesender Bär wohl mehr Angst vor dem Lärm als ihnen auf den Pelz zu rücken], setzte sich fort. So lief man durch schon fast märchenhaft anmutende Waldabschnitte …

2010/09/10 Vildmarksleden Bjusås [bei Fänriksberget] - Wald.
2010/09/10 Vildmarksleden Bjusås [bei Fänriksberget] – Wald.
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… um dann wieder im Nichts mit totem Holz zu landen, bei dem man übrigens Schwierigkeiten hatte, die Position des toten Baumes im Raume zu bestimmen:

2010/09/10 Vildmarksleden Bjusås [bei Fänriksberget] - Komisch gewachsen.
2010/09/10 Vildmarksleden Bjusås [bei Fänriksberget] – Komisch gewachsen.
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Die letzte Etappe der Wanderung führte, wie sollt es anders sein, einen Berg hinauf, und man sah sich gezwungen, Sumpfgasen und Bächen Paroli zu bieten, hier und da war ein Zweikampf mit dem aufsaugenden Boden vonnöten, was sich allerdings lohnte, konnte man auf dem Gipfel des kleinen Berges, nennen wir es doch einfach Hügel, eine hervorragende Aussicht genießen:

2010/09/10 Vildmarksleden Bjusås [Ärtknubben] - Aussicht.
2010/09/10 Vildmarksleden Bjusås [Ärtknubben] – Aussicht.
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Summa summarum kann ich meinen, eine wunderbare Erfahrung, die es zu wiederholen gilt, auch wenn ich nun meine Wunden behandeln muß, als da aufgeschnittene Hände sowie unzählige Mückenstiche und völlig verhunzte Füße wären, und außerdem den geschundenen Schuhen gut zurede, damit sie auch beim nächsten Mal wieder gute Dienste leisten können. Im Moment stehen sie eher in der Ecke und werden einer Zwangspause zwecks Trockung ausgesetzt. So ganz ohne Kollateralschäden geht es ja nie in der Natur, die nun auch alsbald wieder mit der Großstadt eingetauscht wird, ich selbst befinde mich nämlich nun fast schon auf dem Weg gen Stockholm, was nach diesem Abenteuer eine völlig andere Erfahrung sein sollte, ich werde nach dem Überleben des Stadtlebens berichten …

(endlich) schulisches.

Ja, nun ließ sich doch ein kleines Zeitfenster entdecken und anwenden, um mal wieder persönlich zu berichten, und da gibt es viel. Zu viel eigentlich, denn zwei Wochen volle Fahrt in der Schule bringen natürlich mit sich, daß man viel erlebt.

Zum einen liegen z.B. rund dreihundert Schülerarbeiten neben mir auf dem Schreibtisch, die, man glaubt es kaum, zeitnah, so es nach den Schülern geht, korrigiert werden sollen. Das Gros in Englisch, der Rest dann eben auf Deutsch. Ich kann an dieser Stelle jetzt schon verraten, daß meine vorgeschriebene Arbeitszeit bei weitem nicht ausreicht, um die vielfältigen Aufgaben eines Lehrers zu erfüllen, ein Haufen Abende gehen nur für die Vorbereitung und Nachbereitung der einzelnen Stunden drauf. Nun gut, ich will mich freilich nicht beschweren, ich wußte ja, worauf ich mich einlasse.

Dann hätten wir Unterrichtsstunden, die damit beginnen, daß daran gezweifelt wird, daß meine Wenigkeit Deutscher wäre. Mir wurde jüngst unterstellt, ausgehend von meiner „komischen“ Aussprache, ich sei kein waschechter Deutscher. Allein die Aussprache der Zahlen sei doch recht gräßlich, rein gar nicht, wie man das gelernt hätte. Und die Anwendung des Buchstabens Eszett zieht meinen Schülern nun gänzlich die Schuhe aus. Ich wies zwar darauf hin, daß schwedische Deutschlehrer sicher eine andere Aussprache hätten als ich, also einen schwedischen Akzent im Deutschen anwendeten, und mit dem Eszett auf dem Kriegsfuß stünden, aber das wurde abschlägig beschieden. Es war wirklich zwingend, den heimatlichen Paß vorzuzeigen, damit wir dahingehend überein kommen konnten, daß ich auch wirklich der bin, für den ich mich ausgebe. Das hindert meine Schüler freilich nicht daran, sich tot zu lachen, wenn ich im Schwedischen das R nicht gerollt bekomme, ich kann verzweifelt dreimal mitteilen, daß man dies in Berlin einfach nicht macht.

Richtig bunt wird es, wenn man, in beiden Sprachen, an die Grammatik rangeht. Begriffe wie Subjekt, Prädikat und Objekt sollte man unbedingt vermeiden, aus irgendeinem Grund legt man in Schweden nicht so viel Wert auf die schulische Ausbildung in der Grammatik, also weder in der schwedischen noch in der anderer Sprachen. Da wird es natürlich putzig und chaotisch, versucht man, da ist es wieder, die Zeitform Perfekt einzuführen. Abenteuerlich wird es auch, geht man an die sechzehn Bundesländer heran. Die Rechtschreibung derer seitens der Schüler ist wirklich famos, es stimmt so ziemlich gar nichts, dennoch ist man in der Lage, aus dem Wirrwarr etwas zu entziffern. Ja, sie versuchen es, und mit ein bißchen Wiederholung sollten wir eine halbwegs richtige Orthographie erreichen.

Und meine Kollegen, was soll ich sagen? Ich habe wahnsinniges Glück gehabt, mit allen übrigens, also nicht nur mit denen aus meinem Arbeitsteam (arbetslag nio). Sie helfen, wo sie können, nehmen mit Engelsgeduld meine sprachlichen Tiefflüge hin und freuen sich um so mehr, wenn ich hier und da eine neue Redewendung aufgeschnappt und praktisch angewandt habe. Dasselbe gilt übrigens auch für meine Schüler, die sich, im Gegensatz zu meinen Kollegen, bei meinen Tiefflügen natürlich nicht mehr zusammenreißen können. Aber es sei ihnen wahrlich gegönnt, so lang ist die Zeit als Schüler bei mir ja nun auch noch nicht her.

Und was wir an der Schule nicht alles machen, am Donnerstag und Freitag werden alle Neunten inklusive der Lehrer aus dem arbetslag nio zusammen im Wald umherwandern, auf dem >>> Vildmarksleden (ein Wanderweg), mit nächtlicher Übernachtung im Zelt, irgendwo bei Bjursås:


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Mein kleiner Einwand in Bezug auf Bären wird natürlich ausgenommen wie ein Fisch, meine Kollegen versichern mir seit zwei Wochen, daß dies alles kein Problem sein sollte … ich vertraue ihnen einfach mal! Wenn nicht, dann kann man wahrscheinlich am Freitagmorgen meine Einzelteile im Wald zusammensammeln.

Ich kann also mitteilen, daß mein Start in Borlänge wunderbar verlief. Anstrengend ist das alles schon, und ja, ab und zu schiebe ich ein bißchen Frust vor mich her, wenn es dann mit einigen Schülern nicht so klappt, wie es sollte. Die eigentlich wollen, aber dennoch nicht können, weil ihnen, z.B. wegen Migrationshintergrund, die Sprache fehlt, sowohl das Schwedische als auch die Fremdsprache. Es geht verdammt viel Zeit drauf, um mit ihnen erfolgreich arbeiten zu können, allerdings wußte ich das, dies wurde mir während des Einstellungsgespräches ohne Umschweife angetragen. Es wird also nicht langweilig, auch nicht langatmig, jeder Tag ist einfach anders, spannend und herausfordernd.

Damit sollte es fürs Erste reichen, ich werde natürlich den Ausflug in die Natur nutzen und die Kamera mal wieder ein bißchen herausfordern, das bleibt ja leider im Moment etwas auf der Strecke, was ich zutiefst bedauere, aber der Tag hat ja leider nur 24 Stunden, und die sind im Moment bei mir zur Gänze ausgefüllt. Es kann aber nur noch besser werden …