[Stockholmer] Telegramm 16

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Da war er wieder, jährlich am 4. Oktober, der „Kanelbullens dag“! Blümerant wird einem da zur Gänze in Stockholm, wenn aber auch wirklich überall der Duft von Zimtschnecken um die Ecken huscht. Den Zimt in allen Ehren, gern auf dem Apfelkuchen, im Tee, von mir aus auch im Kaugummi. Aber in einer gebackenen Schnecke? Übrigens, wer nun der Meinung ist, der besagte Zimtschnecken-Tag sei eine uralte schwedische Tradition, sozusagen von den Wikingern erfunden und durch das Könighaus verfeinert, dem sei gesagt: Alles Lug und Trug! Eingeführt wurde der Tag 1999 durch den sog. Hembakningsrådet (also ich traue mich fast gar nicht, dies zu übersetzen, aber das wäre nach meiner Vorstellungskraft und Schwedischkompetenz so etwas wie ein Backratgeber für das Backen im Heime). Und auch nach neun Jahren in Schweden hat sich mir die Bedeutung dieses Tages kaum erschlossen. Gewiss, man bäckt und ißt an diesem Tag diese runde Süßigkeit vermehrt, verdient sich unter Umständen sogar durch den Verkauf eine goldene Nase. Aber wie das nun mit dem kulturellen Erbe Schwedens zusammenhängt, konnte mir bisher nicht mal ein waschechter Schwede erläutern.

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Schweden hat eine rot-grüne Minderheitsregierung bekommen. Und wie groß nun wieder die ganzen Versprechungen sind. Die Lehrer sollen mehr verdienen (was gar nicht so schlimm wäre), das Gymnasium soll obligatorisch werden (heute ist es nach Abschluß der neunten Klasse in der Grundschule freiwillig) und somit die Schüler und Schülerinnen vor sich selbst retten (ich bezweifele dies jedoch), die Lehrer sollen sich mehr auf das Unterrichten konzentrieren können anstatt den ganzen Tag der Administration hinterher zu hetzen (das wird viel Geld kosten) und die Inklusion soll weiterentwickelt werden (bisher ist sie in Schweden auf Grund fehlender Ressourcen grandios gescheitert). Noch erstaunlicher: gleich drei Minister und Ministerinnen sind für die Bildung vorgesehen, nämlich ein schnöder Bildungsminister, eine Ministerin für die Entwicklung und Verbesserung des Gymnasiums und der Allgemeinbildung (Gymnasie- och kunskapslyftsminister, wer sich durch die Übersetzung auf den Schlips getreten fühlt, kann mich gern berichtigen) und dann noch eine Ministerin für Hochschulbildung und Forschung. Ich drücke freilich allen dreien die Daumen. Ich wäre aber dankbar, und darf nun eine liebe, ehemalige Kollegen von mir zitieren, wenn ich nach einem Regierungswechsel in fünf Jahren nicht wieder hinterher fegen muß, weil man einen Scherbenhaufen hinterlassen hat …

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Es wird wieder dunkel. Was an sich ja keine Neuigkeit ist, aber der Winter rast uns entgegen. Wie mir der schwedische Wetterbericht heute mitteilte, digital auf seiner Internetseite, ging die Sonne heute 16 min. später auf als vor einer Woche, und leider verläßt sie uns heute auch schon 21 min. früher als vor einer Woche. Da allerdings ein Tiefdruckgebiet bei Island und ein Hochdruckgebiet über Rußland festsitzen und Faxen machen, wir sind sozusagen von ihnen umzingelt und eingequetscht, ist es ungewöhnlich mild und diesig in der schwedischen Hauptstadt. Ob das nun dafür verantwortlich war, daß der König Carl XVI. Gustaf vor gar nicht allzu langer Zeit auf dem Wege zum städtischen Flughafen mit seiner Staatskarosse in einen Autounfall verwickelt war, entzieht sich meiner Kenntnis, aber möglich ist ja alles. Wie dem auch sei: Tag und Nacht sind auf Winter eingestellt, das Wetter leider noch nicht.

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Und im Gegensatz zu Deutschland habe ich noch keine eßbaren Erzeugnisse jedweder Art in Bezug zum sich nähernden Weihnachtsfest erspäht. Die schwedischen Supermärkte ignorieren den Trend in Deutschland vollständig, und auch LIDL hat sich bisher nicht angeschickt, Lebkuchenherzen und Dominosteine feil zu bieten, was ich an dieser Stelle außerordentlich bedauere.

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Ich bin ja so dankbar, daß meine (neuen) Grundschülerinnen und -schüler nichts mit „Tokio Hotel“ anfangen können, sind sie doch einfach noch zu jung – allerdings muß ich hier und da Justin-Bieber-Aufkleber auf den Deutschheftern akzeptieren. Das neue Video ist nicht im Klassenzimmer vorzeigbar (bzw. hätte ich dann wohl einige ernste Elterngespräche am Halse).

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Und nein, wir hatten am 3. Oktober leider nicht frei!

(irgendwie) nicht überzeugend.

Am Sonntag werden in Schweden ja gleich drei Wahlen abgehalten, nämlich die Wahlen zum Schwedischen Reichstag, innerhalb des Landsting (Provinzparlament) und der Kommune. Zwar darf meiner einer auf Grund seiner deutschen Staatsbürgerschaft, die schwedische ist noch in Arbeit, nicht an den Reichstagswahlen teilnehmen, wohl jedoch, als Einwohner von Falun und Dalarna, an den Wahlen innerhalb der Kommune und des Landsting. Daher habe ich mich mehr oder weniger mit Begeisterung für die visuellen Medien der einzelnen Parteien interessiert und muß, der Zwang wird hier unterstrichen, jeden Tag an zwei Plakaten der >>> Kristdemokraterna (Christdemokraten) vorbei, die auf dem Weg von der Bushaltestelle in Borlänge zur Schule direkt auf meiner Marschroute aufgestellt wurden. Und irgendwie wollen mich diese zwei Plakate nicht überzeugen, vielmehr macht sich der Eindruck breit, bei den Kristdemokraterna wüßte man nicht so recht, wofür man eigentlich steht, denn so haarsträubend wie auf den Plakaten impliziert, geht es, wenn ich das als Nichtschwede mal so formulieren darf, in diesem Lande eigentlich nicht zu … an mir die Botschaft also komplett vorbeigeht. [Aber es hat ja auch nie einer behauptet, es wäre ein Leichtes mit Wahlen.] Meine Stimme jedenfalls werden die Damen und Herren damit morgen nicht einstreichen, wenn ich auf Grund eines Berlin-Besuches am Wochenende schon vorzeitig meine Stimme im Wahllokal abgebe.

Valaffisch Kristdemokraterna (Val 2010 Sverige)
Wahlplakat der >>> Kristdemokraterna
„Für ein menschlicheres Schweden.“
Göran Hägglund
Parteivorsitzender Kristdemokraterna, Minister für Gesundheit und Soziales

Valaffisch Kristdemokraterna (Val 2010 Sverige)
Wahlplakat der >>> Kristdemokraterna
„Für ein menschlicheres Schweden.“
Göran Hägglund
Parteivorsitzender Kristdemokraterna, Minister für Gesundheit und Soziales

(bedauerliche) Fehlentwicklung!

Valaffisch (Riksdagsval 2010) Folkpartiet - Kärnkraft 1
Wahlplakat der >>> Folkpartiet Liberalerna
„Kernkraft. Des Klimas wegen.“

Valaffisch (Riksdagsval 2010) Folkpartiet - Kärnkraft 2
Wahlplakat der >>> Folkpartiet Liberalerna
„Kernkraft. Des Klimas wegen.“
Marit Paulsen, Mitglied im Europaparlament

In Schweden werden am 19. September 2010 die Wahlen zum Riksdag [schwed. Reichstag) abgehalten, und wie schon >>> in Deutschland kommt man nun auch in Schweden auf den Trichter, >>> Kernkraft bedeutet eine Sicherung des Umweltschutzes, gar die Rettung des Klimas.

Bedauerlich an der ganzen Sache ist nur, daß Schweden im Jahre 1980 eigentlich den Atomausstieg bis zum Jahre 2010 beschlossen hatte, was allerdings im letzten Jahr durch einen Beschluß des schwed. Reichstages torpediert wurde. So erlaubte die Regierung um Ministerpräsident Reinfeldt >>> den Bau von zehn zusätzlichen Reaktoren innerhalb der bestehenden Anlagen. Die politische Bewerbung der Kernkraft einer Partei, welche im Moment in Reinfeldts Kabinett vertreten ist, und welcher Chancen auf die Wiedereinkehr in ein Regierungskabinett unter Reinfeldt nach der Wahl eingeräumt werden, stellt wohl das Ende des ambionierten Projektes Atomausstieg in Schweden dar. Schade eigentlich, ist Schweden doch sonst ein >>> Pionier in Sachen Umweltschutz. Zudem bleibt abzuwarten, ob die Rückabwicklung des Ausstieges nicht auch die Entwicklung in Deutschland beeinflußt, nicht nur >>> einmal wurde in deutschen Gefilden die „Abkehr von der Abkehr“ in Schweden wohlwollend zur Kenntnis genommen.

Wie jetzt!?! nr. 15

Im Lichte der >>> Absetzung des Chefredakteurs beim ZDF Nikolas Brender liest man doch überall und fortwährend, wie Roland Koch seine Wirkung im Verwaltungsrat des Zweiten Deutschen Fernsehens sieht:

Die Abstimmung über eine solche Personalie sei ein normaler Vorgang, sagte Koch, der auch stellvertretender Vorsitzender des Verwaltungsrats ist. Er fühle sich in vollem Maße als Volksvertreter dazu legitimiert, die Verantwortung im Verwaltungsrat auszuüben.

u.a. bei >>> n-tv.de oder auch >>> tagesschau.de

Ein Volksvertreter will er also sein, der Roland Koch? Besonders dünn muß sie sein, die Luft in der Landeshauptstadt Wiesbaden, scheint sie doch dem Herren mächtig das Hirn vernebelt zu haben. Es mag sein, daß Herr Koch ein gewählter Volksvertreter in Hessen ist, es sei ihm auch zugestanden, deswegen Ministerpräsident sein zu dürfen. Aber wie er nun auf die völlig absurde Idee kommt, ein Vertreter des ganzen deutschen Volkes zu sein, bleibt schleierhaft. Anscheinend hat der hessische Landesfürst etwas Bodenhaftung verloren, denn im Parlament des deutschen Volkes sitzt er nicht, welches allein den Anspruch inne haben sollte, das deutsche Volk zu vertreten, auch wenn man nun darüber streiten kann, ob es dies tatsächlich tut. Zwar mag das Zweite Deutsche Fernsehen, das im Übrigen eigentlich ebenso wie alle anderen Medien durch >>> Artikel 5 Absatz 1 Satz 2 im Grundgesetz verfassungsrechtlich geschützt ist und somit unabhängig von staatlicher Willkür sein sollte, seinen Sitz in Kochs hessischem Hoheitsbereich haben, allerdings ist damit nicht der hessischen Landesregierung und dem Hofherren Koch zugestanden, alleinige Lokalherrschaft in diesem zu installieren. Denn das ZDF hat einen Informationsauftrag für das gesamte Bundesgebiet und nicht nur exklusiv für das Bundesland Hessen, was mit seinen gut 6 Millionen Einwohnern zudem nicht einmal zehn Prozent der gesamtdeutschen Bevölkerung darstellt. Daher stößt es sauer auf, meint ein Lokaldespot ohne gesamtdeutschen Wählerwillen, er stehe als Volksvertreter für das ganze Volk und könne daher beliebig schalten und walten.

Früher hat man übrigens einen solch massiven Eingriff in die freie Gestaltung der Medienlandschaft als Unrecht bezeichnet. Heute reitet man eben auf dem Rücken der Demokratie durch das Land und macht sich die mediale Welt, wie sie einem gefällt – als demokratischer Volksvertreter natürlich.