[Stockholmer] Telegramm 1


+++ Es ist wesentlich zu warm für diese Jahreszeit, wo bleibt eigentlich der Winter?

+++ Premiere: Meine Wenigkeit sang „O Tannenbaum“ vor einer Klasse. Wahnsinn.

+++ Meine Webseite wurde diese Woche erstmalig in vier Jahren Betrieb angegriffen.

+++ Man hätte gern mehr zu berichten. Ein Arbeitsleben verhindert dies.

+++ Man ist weiterhin über die Flugpreise irritiert.

+++ Schönen Sonntag.

Das ist ja allerhand!
Mit Vögeln, Google und Bing in der U-Bahn.

Das Leben tobt in der schwedischen Hauptstadt, jeden Tag aufs Neue. Wenn ich einmal nicht damit beschäftigt bin, mit der S-Bahn durch die unendlichen Weiten von Signal- und Weichenstörungen zu gleiten, vergnügt man sich meinerseits immer wieder, dies auch gern, mit seinen Schülern, die weiterhin, oder immer noch, fleißig dem Deutschunterricht frönen. Dies hat den unangenehmen Nebeneffekt, daß ich meinen PC am Abend nicht mehr leiden kann, die Kiste bleibt einfach aus, und ja, der Blog fristet dann zuweilen ein unsägliches Schicksal im weltweiten Netz.

Dennoch, am heutigen Abend gelüstete es mich förmlich, die Kiste zum Laufen zu bringen, las ich doch einen interessanten Artikel in der Zeitung, den ich meinen Schülern nicht vorenthalten wollte. In Stockholm soll es nämlich neuerdings schwarzfahrende Tauben geben, die sich jeden Tag dazu entschlössen, eine Station mit der U-Bahn zu fahren. Die grüne Linie wäre es, von Farsta Strand nach Farsta, so die Zeitung. Die Fahrzeit beträgt ungefähr eine Minute und 20 Sekunden, die Entfernung kann mit ungefähr 1.092 m angegeben werden. Der Artikel fährt fort und weiß, daß die Tauben den Berufsverkehr mieden, sie benutzten also die verkehrsschwachen Zeiten,  und das Vehikel vorschriftgemäß vom Bahnsteig aus bestiegen. Kritisch angemerkt wird, daß sie für die Beförderungsleistung kein Entgelt berappen würden, allerdings, und dies wird nun wieder hervorgehoben, machten sie während der kurzen Reise auch keinen Gebrauch von ihrem Hinterteil, eine saubere Sache, meint zumindest die Verkehrsgesellschaft. Deswegen würde man auch von einer Eintreibung des Beförderungsentgelts absehen. Und um dem Ganzen nun noch einen Hauch Akte X hinzuzufügen, weist man seitens der Verkehrsbetriebe darauf hin, daß dieses Phänomen ein Mysterium sei, die beste Erklärung für die u-bahnfahrenden Tauben sei, daß diese in Farsta einfach mehr zu Fressen bekämen, befänden sich dort doch viele Cafés und Imbißbuden.

Und ist es an sich ja schon unerhört, daß Vögel in einer Stadt inzwischen so faul sind, daß sie anstatt des Direktfluges eher auf eine U-Bahn warten, die in der Nebenzeit auch nur alle 10 Min. fährt, um einen guten Kilometer zurückzulegen. Wenn das so weitergeht, schieben wir sie vielleicht in Zukunft auch noch mit dem Kinderwagen auf den Bahnsteig? Schlimmer wiegt allerdings der Umstand, daß ich eigentlich vor hatte, diesen Artikel zu übersetzen, also von Schwedisch nach Deutsch, um ihn dann morgen mit meinen Schülern wieder in die andere Richtung zu übersetzen, also eine kleine, aber doch leichte Textübung. Und entgegen meiner eigenen Prinzipien – was habe ich nicht versucht, um meinen Schülern einzubleuen, sie mögen doch bitte nicht Google und Co. zu umfangreichen Übersetzungen benutzen, es käme alles dabei heraus, jedoch weit von sinnvoll entfernt – habe ich den Artikel durch Googles und Bings Übersetzung gefeuert.

Da wird aus der Betreibergesellschaft, MRT genannt, die für den Betrieb und Unterhalt der U-Bahn in Stockholm zuständig ist, auf einmal eine Firma, die für den Betrieb und Aufrechterhaltung der Erde sorgt (Google). Der gute alte Berufsverkehr wird mit einer eiligen Stunde übersetzt (Bing), und plötzlich gehen die Tauben sogar zu Fuß, obschon sie doch eigentlich fahren (Bing). Daß dann aus dem mit einem Federkleid ausgestatteten Schwarzfahrer urplötzlich ein „Feder verkleideten Dieb Athleten“ wird (Google), ist da eigentlich nur noch Nebensache. Und letzten Endes ist ja auch völlig unerheblich, ob die Tauben nun in der Nebenverkehrszeit mit der U-Bahn fahren oder, aus Bings Perspektive, doch die Flüge nähmen, die nicht ganz so voll wären.  Wenn sie dann also von Farsta Strand nach Farsta mit der U-Bahn fahren, oder wie es Google beschreibt: „Die Tauben heimlich in Autos an Farsta Strand und Stechen an der nächsten Station, die Farsta ist.“

Es sticht mich nun auch, nämlich im Kopfe, denn die Arbeit, die ich mir ersparen wollte, eine Übersetzung meinerseits, steht nun doch auf dem Plan. Und eigentlich könnte ich damit auch schon fertig sein, spielte ich nicht andauernd mit der Technik, die ich doch eigentlich verteufele. Schuster, bleib bei deinem Leisten! – ich also beim Übersetzen, und Google und Bing vielleicht beim Suchen?

>>> Originalartikel auf DN.se
>>> Übersetzung Google
>>> Übersetzung Bing

Nein, danke!

Mal davon abgesehen, daß hier im hohen Norden alles seinen gewohnten Gang geht, man also arbeitet und unterrichtet, hier und da die faulen Ausreden der Schüler in Sachen Zuspätkommen zu Fall bringt, erwischte mich heute früh ein bestimmter Tag im Kalender kalt und hinterrücks. Allerdings hätte mir schon beim morgendlichen Erstehen des Kaffees klar werden müssen, daß etwas in der Luft liegt. Fragte man mich doch, ob ich nicht Kanelbulle zu meinem Kaffee haben möchte, vier Stück wären HEUTE doch so besonders günstig. Nein, danke! In der S-Bahn allerdings sollte das Drama seinen weiteren Lauf nehmen, es roch nämlich nach Kanelbulle. Das tut es morgens eigentlich nie, zumindest nicht so mitten im Berufsverkehr. Heute früh allerdings schien ein jeder dieses verdammte Backwerk bei sich zu haben, und ich reagiere auf Kanelbulle ganz übel. Sie schmecken mir nicht, sie riechen nicht gut; nein, danke! Abartig wurde es dann in der Schule, meine Schüler kamen mir doch tatsächlich mit Kanelbulle entgegen, grinsend und diese fröhlich durch Eßtätigkeiten vernichtend. Man bot mir sogar ein solches Backwerk an; nein, danke! Dann kauft man sich einen zweiten Kaffee, bevor es mit der S-Bahn wieder in Richtung Heimstätte geht, und siehe, sie versuchen wieder, mir diese Dinger anzudrehen, weil eben HEUTE dieser Tag ist, der 1999 offiziell in Schweden eingeführt wurde. Natürlich nicht des Geldes wegen, welches die Backindustrie durch den heutigen Tag extra verdient, sondern um dieses Backwerk zu schützen und zu fördern, die Traditionen der Schweden galt es zu retten (auch wenn meiner Ansicht nach genau dieses Backwerk nun eigentlich nicht auf die Liste der vom Aussterben bedrohten nordischen Backrezepte gehört hätte). Überall Kanelbulle, selbst die Lektüre der Zeitung wird zum Albtraum, Anzeigen mit dicken fetten Kanelbulle überall. Die Supermärkte übertreffen sich mit den HEUTIGEN Preisvorteilen beim Mehrkauf, die vorliegende Art und Weise spielt keine Rolle: gefroren aus der Tüte, halbfrisch aus dem Regal oder fast noch heiß in der Backwarenabteilung. Und so versuchte man dann auch bei meinem örtlichen Supermarkt den Verkauf eines solchen Backwerkes an mich; nein, danke – Ich hasse Kanelbulle!

Ich bin wahrscheinlich der erste und letzte Deutsche, der diesen Tabubruch wagt und Kanelbulle haßt, und dies frank und frei der Umwelt mitteilt. Sicher, ich muß nun damit leben, daß in meinem örtlichen Supermarkt Verwirrung herrscht, weil ich ein [fast] nationales Kulturheiligtum in die Ecke gepfeffert habe, das Personal hält mich nun mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit für einen Kulturbanausen. Aber was soll man machen, wenn man mit einer Zimtschnecke am Zimtschneckentag nichts anfangen kann und mag?

Kanelbulle, Fotograf: Bengt Olof Åradsson
Kanelbulle, Fotograf: Bengt Olof Åradsson

Kanelbulle am Kanelbullens dag – nein, danke!

Ein schwedisches Wort – nr. 48

 Ingen lunch – lektion inställd

Ich habe Freitag einmal mehr erleben dürfen, daß nicht alles in Schweden, vor allem auf der schwedischen Schule, Gold ist was glänzt, mein persönliches Empfinden über die Einstellung zu gewissen Dingen hier in der Gesellschaft wurde abermals deftig gestört. So begab es sich, daß ich meinen Unterricht morgens am Bromma-Gymnasium in Sachen Deutsch ohne Probleme abhalten konnte, wenn man davon absieht, daß meine Stirnhöhle auf Grund sich einer anschleichenden Nebenhöhlenentzündung schon wieder feierte, und zwar dermaßen, daß mich schon die morgendliche S-Bahnfahrt durchs Zentrum hindurch (ich fahre immer lustig vom nördlichen Ende der Stadt zum südlichen) viel Kraft kostete. Man kennt das ja, sitzt man halb krank in überfüllten Massenverkehrsmitteln, so kurz nach sieben. Dennoch, die Schüler hatten brav ihre Hausaufgaben gemacht, wir konnten uns an schwache und starke Verben im Deutschen heranwagen, diskutierten noch über meine schwedische Rechtschreibung und über die Aussprache von „-ig“, wie also in wichtig, meiner einer tendiert ja immer zu ‚vɪçtɪk, an der Uni sicherlich habe ich aber gelernt, daß die korrekte Aussprache doch bitteschön, auch für einen Berliner, ‚vɪçtɪç wäre. Es überlebten also die Schüler und der Lehrer, lediglich eine Packung Taschentücher ging über den Jordan.

Hiernach setzte ich mich in die S-Bahn, um meinen freitäglichen Unterricht auf einem Gymnasium in Tumba abzuhalten, was dann wieder eine Stunde Fahrzeit bedeutete. Dort angekommen wurde mir allerdings eine Überraschung nach der anderen präsentiert. Erst hieß es, man hätte Stromausfall gehabt. Nun gut, es schien die Sonne, und ich meinte, ich könnte meine beiden Deutschstunden auch ohne Strom ausführen. Hierauf wurde erwidert, daß aber auch das Internet nicht ginge. Auch dies, so meinte ich noch mit einem Lächeln und nichts böses ahnend, wäre mir schnuppe, ich könnte meine Stunden auch ohne den ganzen technischen Schnickschnack abhalten, denn a) hätte ich noch keinen PC bekommen und b) ist mir das sogenannte >>> Smart-Board immer noch unheimlich. Dies konterte man dann damit, daß auch die Belüftung ihren Dienst versagt hätte, und auch wenn der Strom wieder da wäre, diese immer noch nicht betriebsbereit wäre. Mein Hinweis auf das Öffnen eines Fensters wurde dann damit zu Grunde gerichtet, daß die Schüler doch kein Mittagsessen gehabt hätten und damit unmöglich nach 12 Uhr am Unterricht teilnehmen könnten, vielmehr wäre doch die Entlassung dieser in das Wochenende viel besser.

Nun gut, ich hatte mal wieder unterschätzt, wie wichtig das Mittagessen in Schweden ist. Ich hatte mich ja schon daran gewöhnt, daß man zwischen 12 und 13 Uhr keine Anliegen haben sollte, weder in der Schule noch beim Amt oder gar den Staatsorganen. In dieser einen Stunde sollte man gefälligst das Mobiltelefon anzünden, den PC mit Wasser überschütten und alle Türen mit Elektrozäunen absichern, denn wenn Mittag ist, dann ist Ruhe im Karton. Daß eine Schule allerdings, die schon den lieben langen Tag weiß, daß die Küche auf Grund des Stromausfalls am Morgen nicht kochen konnte, irgendwie keinen anderen Ausweg findet, als den Unterricht einzustellen, das hat mich doch schon verwundert. Ich will nun um Gottes Willen nicht verlangen, daß die Schüler ohne etwas gegessen zu haben, den ganzen Tag an der Schule ausharren sollen. Allerdings kann ich mich erinnern, daß in Deutschland erst der Unterricht geschmissen wurde, wenn entweder das Schulhaus einzustürzen drohte bzw. anderweitig Gefahr für Leib und Leben bestand (irgendein Orkan, >>> Krawalle in der Mainzer Straße). Wenn die Küche eben nicht kochen konnte, dann wurde Kaltverpflegung auf die Beine gestellt.

So hat es mich also am Freitag erwischt, und zwar kalt, denn weder eine Email noch ein Anruf wurden in die Welt abgesetzt, um mich davon abzuhalten, zum Unterricht aufzuschlagen. Nun gut, Email ging ja nicht, die Schule hatte wirklich kein Internet, aber die Mobiltelefone funktionierten noch, und zwar ausgezeichnet …

 Ingen lunch – lektion inställd –  kein Mittagessen – Unterrichtsstunde eingestellt

Man staune also, ich bin immer noch nicht wirklich in der schwedischen Gesellschaft angekommen, denn nur meine spanische Kollegin und ich nahmen Anstoß an dieser abrupten Einstellung der Unterrichtsstunden. Ein kollegialer Austausch mit dem schwedischen Lehrpersonal förderte zu Tage, daß Lunch als feste Institution im schulischen Tagesablauf nicht so einfach mit kalter Küche ersetzt werden könne.

Ich frage mich, wieso eigentlich nicht?

Ich will gar nicht erst erwähnen, daß meine Planungen natürlich völlig über den Haufen gefahren wurden, und ich zwei unterschiedliche Gruppen, die ab Montag zusammen unterrichtet werden sollen, nun irgendwie auf einen Nenner bringen muß – der einen fehlt ja nun eine Stunde. Das einzig positive: Ich kriege den Ausfall trotzdem bezahlt.