Es ist erschreckend, mit welcher Wucht >>> die jüngsten Ereignisse in Norwegen den Norden getroffen haben. Nicht, weil die Brutalität eines einzigen Individuums ein Ausmaß erreicht hat, daß die Vorstellungskraft des Menschen übersteigt. Nicht, weil ein Autobombe im Zentrum einer Stadt explodiert ist. Nicht, weil viele Menschen dem Ganzen zum Opfer gefallen sind. Nein, weil Norwegen gezeigt hat, daß die „Vorstellung vom skandinavischen Utopia … nie der Realität [entsprochen hat].“*
Der Deutsche, auch ich tat dies vor meinem Umzug nach Schweden, sieht in Skandinavien die perfekte Symbiose zwischen Staat und Inidiviuum, in weiten, grünen Landschaften, hier und da mit roten Holzhütten, ein bißchen Schnee, ein bißchen Sommer, ein bißchen der Elch, immer friedlich. Viel Wohlfahrt, Lebensqualität und schiere Sicherheit.
Der Skandinavier sieht seine eigene Gesellschaft im Prinzip ähnlich. Er würde dem Deutschen wohl zustimmen, spräche dieser über seine Vorstellungen in Bezug auf Skandinavien.
Und ich habe mich immer gewundert. Ich habe zur Kenntnis genommen, daß Skandinavien nicht nur aus einer homogenen Masse aus Individuen besteht, die kollektiv die Gesellschaft voranbringen wollen und prägen. Ich habe zur Kenntnis genommen, daß der Skandinavier auf Konfliktfreiheit bedacht ist, koste es, was es wolle, und wenn dabei persönliche Belange und Gefühle abseits gestellt werden. Ich habe zur Kenntnis genommen, daß Schweden, Dänen und Norweger zum >>> „Fest der Völker“ nach Jena reisten. Ich habe zur Kenntnis genommen, daß die Partei >>> „Sverigedemokraterna“, der Vergleich zur NPD sollte nicht zu gewagt sein, im schwedischen Reichstag sitzt. Ich habe einfach zur Kenntnis genommen, daß vieles in Skandinavien nur Schein ist, dabei spielt meine deutsche Perspektive oder die der Skandinavier keine Rolle.
Das >>> „Brudervolk“ der Schweden, wie die schwedische Presse in den letzten Tagen immer wieder Norweger bennante, hat eine bittere Lektion durch die Realität erhalten. Und es verstört eben nicht nur die Menschen in Oslo, nein, auch der Schwede ist sich des Ausmaßes noch nicht bewußt, er reagiert ungläubig und verletzt. So hielt man am gestrigen Tage auch in Schweden inne, um Punkt 12 Uhr gedachte man der Opfer, eine Schweigeminute ließ die Gesellschaft erstarren.
Ich bin entsetzt darüber, wie man hier in Skandinavien den Anspruch erheben kann, besser zu sein als alle anderen. Sich im Norden zu befinden, reicht nicht. Man ist in Skandinavien nicht von den Einflüssen der Welt abgeschnitten. Das Internet macht vor der Ostsee nicht halt. Das Fernsehen macht vor der Ostsee nicht Halt. Gedanken machen vor der Ostsee nicht Halt. Gewalt macht vor der Ostsee nicht Halt. Haß macht vor der Ostsee nicht Halt. Ein Drang nach Vernichtung macht vor der Ostsee nicht Halt. Der Tod macht vor der Ostsee nicht Halt.
Es ist bitter, daß die „Skandinavische Gesellschaft“ auf diese Art und Weise erfahren muß, daß sie sich kaum von der in anderen Ländern unterscheidet, daß sie nicht in einer uneinnehmbaren Festung sitzt, die jeglichen gesellschaftlichen Strömungen trotzen kann. Die Ereignisse in >>> Dänemark und >>> Stockholm haben gezeigt, daß der Norden genauso verwundbar ist wie der Rest der Welt. Daß der Ausbruch allerdings aus dem Innersten der Gesellschaft heraus stattfinden würde, ist eine Dimension, derer man sich bisher nicht bewußt war.
Der Norden steht, zumindest ist das mein Eindruck, im Moment mit dem Rücken zur Wand und sucht nach einem Ausweg, einer Erklärung, einem Verständnis. Einem Verständnis dafür, was da in und vor Oslo passiert ist. Die nächsten Wochen und Monate werden zeigen, wie die Gesellschaft Stellung hierzu nimmt. Anders zu sein als die anderen, kann sie allerdings nicht mehr für sich proklamieren, der Einschnitt durch die Ereignisse in Oslo ist nicht mehr zu retuschieren, bedauerlicherweise.
* = Manfred Bleskin: Zwischenruf. Rechter Sumpf: Nicht nur in Norwegen.
>>> http://www.n-tv.de/politik/politik_kommentare/Rechter-Sumpf-Nicht-nur-in-Norwegen-article3893481.html (zuletzt aufgerufen: 2011/07/26)