Erlösung [in der Tunnelbana].

Du ahnst es nicht. Ich weiß nicht, was ich der Welt angetan habe, aber im Moment setzt sie mir bei jeder Fahrt mit der U-Bahn, der Tunnelbana, Deutsche gegenüber, die dem Klagen über die Welt und Stockholm nicht widerstehen können. Ganz und gar nicht. Surreal. Da hätten wir das eine Paar Rentnerdamen, welches nun also am heutigen Tage zum Essen aus war und nicht umhinkommt festzustellen, daß der Service und das Essen richtig gut waren, vor allem diese Frische und der Aufbau des Menüs, daß aber auf der anderen Seite das Grillen in den unzähligen Parks in Stockholm widerlich sei, und eigentlich sind junge Leute alles Schweine. Genau. Und überhaupt, wie voll doch die Hauptstadt wäre, man käme nirgends mehr durch. Und die Passagiere in der U-Bahn, also ein Graus. Und daß die jungen Leute aber auch immer und überall telefonieren müßten. Und, Marga, der junge Mann neben dir scheint zu viel gefeiert zu haben, der sieht ganz blaß aus. Nein, werte Dame, dem jungen Mann neben ihrer Freundin Marga ist nur ganz blümerant, denn spricht er doch fließend Deutsch.

Pause im Drama „Erlösung in der Tunnelbana“, ich habe meinen Arbeitsplatz erreicht und unterrichte Deutsch.

Dem jungen Mann ist auf dem Rückweg nicht mehr so ganz blümerant. Der Deutschunterricht hat geholfen. Er legt auf dem Weg nach Hause einen Stopp bei „Dressmann“ ein, für die morgige Führung von Deutschen in Stockholm möchte sein Arbeitgeber ein weißes Hemd sehen. Die Frage nach einer möglichen Hemdgröße, sie war unbekannt, wurde ohne Umschweife von einem Verkäufer festgelegt, Diskussionen waren nicht zugelassen. Ein Hinweis darauf, daß man zurückkäme, paßte das Hemd nicht, wurde mit frechem Grinsen und einem „sehr gerne doch, junger Mann, sie wissen ja, wo sie mich finden“ beantwortet, da man nicht in der Tunnelbana ist, natürlich auf Schwedisch. (Was heute nur alle mit junger Mann haben?)

Einschub: Das Hemd paßt wie angegossen.

Tunnelbana. Tüten und Tasche auf dem Nachbarsitz. Es war heiß – ungewöhnlich warm in Stockholm. Zwei Frauen steuern auf den jungen Mann zu, der nimmt sehr zögerlich, Wärme bekommt ihm nicht und macht ihn undiplomatisch, seine Tüten weg, nachdem eine der beiden auf Schwedisch insistierte. Plötzlich steht eine Tüte mit zwei übereinander gestappelten Springformen neben ihm, die Frauen nehmen gegenüber Platz. Eine balanciert ein Kuchenblech. Deutsch. Frage der einen: Was macht das Leben schön? Antwort: Das Leben ist nicht schön. Frage: Hast Du Angst vor dem Tod? Antwort: Nein, der Tod ist eine Erlösung. Stille. Frage: Themenwechsel, nächstes Thema? Antwort: Stille. Der junge Mann guckt aus dem Fenster, seine Stirn liegt in tiefen Gräben. Die eine zur anderen: Der guckt so komisch. Stille. Der junge Mann fragt: Themenwechsel? Schweigen.

Ich darf aussteigen, inzwischen bin ich nämlich an meinem Ziel angekommen.

Memo für die morgige Aufführung Tunnelbana: Renke, nimm den MP3-Player mit.

Die Zeiten ändern sich [… ständig]!

Was dann also für mich bedeutet hat, mal wieder umzuziehen, das Wohnen in Stockholm ist ja ein Weltklasseproblem für sich. Ich scheue mich ja grundsätzlich, aktuelle Situationen mit denen in der Vergangenheit zu vergleichen, aber in diesem Falle sollte es nicht zu gewagt sein, sagte ich: es war ein Leichtes in der DDR, [irgendeinen] Wohnraum zu bekommen. Es sollte reichen, wenn ich schreibe, daß man hier in Sthml auf Mietwohnungen durchaus drei, vier Jahre warten kann. Daher bin ich, Gott sei Dank, nicht der einzige Mensch auf dieser Welt und in dieser Stadt, der über dreißig Jahre ist und noch das WG-Feeling aushalten muß. Naja, es gibt schlimmeres, für wahr. Nun denn, Södermalm wurde verlassen, einige Dinge haben sich eben doch grundlegend geändert, und nun habe ich meine Zelte etwas weiter außerhalb des Zentrums aufgeschlagen. Für ungefähr vier Wochen, dann wird erneut umgezogen. Ich kann konstatieren, daß mein Leben im Moment nicht langweilig ist, ganz und gar nicht. Nächste Woche wird neben Unterrichten auch wieder der deutsche Tourist durch die Stadt geführt, und zwar eine Gruppe am Dienstag (da hätten wir die Panorama-Tour: Schloß, Fjällgatan, Vasamuseum) und eine am Donnerstag (diesmal Fahrt von Nynäshamn nach Sthml, Fjällgatan, Vasamuseum und dann Freizeit für die Kreuzfahrer). Es wäre natürlich von Vorteil, wenn das Wetter sich endlich mal stabilisieren würde, im Moment fallen wir vom Sonnenscheine ins Wasser, hier und da mit Blitz und Donner, und stürmen dann geschwind wieder aus dem Naß ins Sonnenlicht.  Ich überlege immer noch, ob der Einsatz einer Badekappe, so richtig aus Gummi, wie beim Schwimmen in der ersten Klasse, Schutz bieten sollte, befürchte aber, dies paßt nicht so recht zum schnieken Anzug, mit dem man am Schiff aufschlagen muß. Herrje, ernste Probleme hier also in der schwedischen Hauptstadt …

In diesem Sinne, frohes Schaffen!

So kann es auch gehen.

Einen Tipp von einer Kollegin bekommen, daß eine weitere Firma deutschsprachige Touristenführer sucht, händeringend. Nun denn, Telefonnummer geschnappt, zwischen zwei Unterrichtsstunden in Deutsch einfach angerufen, und den Job direkt am Telefon bekommen. Dies heißt nun im Umkehrschluß, daß ich den ganzen Sommer lang nicht durch die Welt fliegen werde, sondern Massen von Touristen durch Schlößer und die Altstadt bugsiere, Vasamuseuum inkludiert. Sicher, ich werde wohl im August das Verlangen verspüren, einen Bunsenbrenner an der Hand zu haben, wenn ich dann zum hundersten Male durch das Königliche Schloß wandele, aber auf der anderen Seite muß das Überleben ja gesichert werden, von Flugbenzin werde auch ich nicht satt (was natürlich bedauerlich ist).

Ein interessantes Experiment für mich!

Ein bißchen F-down [alt. Falun – Sthml in 14 km]

Aus Zeitgründen bin ich bisher nicht dazu gekommen, einem Ereignis von Wichtigkeit die angemessene Ehre zukommen zu lassen, nämlich eine kleine Wiedervereinigung mit zwei ehemaligen aus Britsen, alle drei haben wir doch das berühmt berüchtigte >>> F-down überlebt. Als da nämlich die Kerstin wäre, die nach einem Austausch wieder in die Heimat nach Deutschland flog, und die Samaneh, die ein halbes Jahr vor mir flügge wurde und gen Stockholm aufbrach. Wir drei haben uns also nach einer langen Zeit wiedergesehen, in der schwedischen Hauptstadt, und bei einem kleinen Spaziergang von exakt 14,92 km alte Zeiten wieder auferstehen lassen. Herrje, ich kann schon behaupten, daß ich das Britsen-Gefühl etwas vermisse, naja, eigentlich vermissen es ja auch die anderen zwei. Diese nicht enden wollenden Diskussionen um die Küchendienste, spontane Märsche auf die Schanze, ein bißchen Fußball-WM, die eine oder andere gemütliche Runde auf dem Dach im Morgengrauen, explodierende Küchenutensilien und völlig unbegabte Mitmenschen, die einem, also mir und Kerstin, die deutsche Sprache erklären wollen. Samaneh wurde für andere kulturelle Auskünfte mißbraucht. Wir drei also haben den letzten Samstag genutzt, um sieben Stunden lang die Stadt zu entdecken, zu klönen und um auf Södermalm einen Imbiß einzunehmen. Ja Kinders, dat war einfach nur chic.

2011/05/14 Stockholm [Fjällgatan] - v.l.r. Kerstin, Renke, Samaneh. Mit Panorama und fremder Person.
2011/05/14 Stockholm [Fjällgatan] – v.l.r. Kerstin, Renke, Samaneh. Mit Panorama und fremder Person.


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Und da uns nach den vierzehn Kilometern immer noch nicht der Kopf vom Körper fiel, sahen wir sogar noch dem Eurovision Song Contest zu, nahmen allerdings leicht irritiert den Sieg von Aserbaidschan zur Kenntnis, zu Zuckungen waren wir dann aber nicht mehr in der Lage.

Tja, das erste kleine aber feine Wiedersehen mit einigen Britslern ist also geschafft, ich freue mich schon auf den Jahreswechsel, in Berlin, es werden dann noch ein paar mehr … Paßte nun der Titel „Junge, komm bald wieder“??? Es sollte einer Eruierung zugeführt werden …