Värmebölja, oder:
[Stockholmer] Telegramm 16

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Am Mittwoch verkündete ich vollmundig der Berliner Welt, wie schön es doch wäre, in die nördlichen Gefilde zurückkehren zu können, die Hitze in der Haupstadt wäre einfach nichts für mein Hirn. Ich würde den Boden küssen und in die Ostsee hüpfen, sobald ich schwedischen Boden erreicht hätte. Nun denn, beides hätte ich am Donnerstag dann auch getan, allerdings in einer leicht abgewandelten Form, eher unfreiwillig und dabei völlig desorientiert. Der schwedische Wetterdienst sah sich nämlich Mitte der Woche gezwungen, erstmals in seiner langjährigen Geschichte eine Wetterwarnung auf Grund einer anhaltenden Wärmebelastung herauszugeben, da die Temperaturen an mehr als drei Tagen in Folge über die Marke von 30°C klettern könnten, was dann auch eintrat, inzwischen erreichen wir Tag vier des markanten Wetterereignisses. Und dann spricht man hier nur noch von der värmebölja, einer Hitzewelle, die nun bis Sonntag vor allem Mittelschweden fest im Würgegriff hat. Da der Sonnenstand in unseren Gefilden in den Sommermonaten am höchsten ist und damit der lebensspendende Stern unseres Sonnensystems sozudagen direkt auf uns strahlt, noch ein bißchen direkter und intensiver als in Berlin, ist dieses Wetter unheimlich gut geeignet, um Touristenführer zu spielen: Stundenlange Spaziergänge in der Altstadt von Stockholm, erfrischend langes Anstehen am Vasa-Museum ohne Schatten und immer wieder raus aus dem lebensrettenden Bus, um Fotos machen zu lassen. Und wie im Lottospiel war es völlig offen, wer denn nun als erstes den Boden küssen oder aber sich ekstatisch die Kleider vom Leibe reißen und in die Ostsee springen würde; der Touristenführer oder eines seiner Schäfchen?

Ich habe sie alle wieder heil zu ihrem Kreuzfahrtschiff zurück gebracht, um dann selbst mit den letzten Reserven im Körper der Sonne zu entkommen, ich bin hierauf erstmal ausgiebig U-Bahn gefahren. Und etwas neidisch guckt einer meiner nun nach Berlin, wo es im Moment angenehme 20°C sind, wir springen um halb zwölf schon wieder über die Marke von 28°C, und es gibt nur eine Richtung – hoch hinaus.

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Die zehn Tage in Berlin waren lehrreich, wenn auch warm. Ich kann noch schwimmen, ein Wochenende bei Ina und den Kindern draußen in Wandlitz hat mich dazu verleitet, mal wieder ins kühle Naß zu springen. Auch eine kurze Hose wurde käuflich erworben, die erste seit dem ich die Kinderlederhose im Alter von 12 Jahren feierlich in die Rente verabschiedet habe. Und ein ganz großer Entwicklungsschritt (da man ja unter sich war, ich würde so nie in die Zivilisation zurückkommen): ein ganzes Wochenende nur in Badelatschen! Auch diese käuflich erworben, sie wurde einfach der kurzen Hose beigelegt.

Auch durfte ich endlich mal Leipzig genießen, zusammen mit dem Kalle, ein spontaner Trip nach Mitteldeutschland, der eigentlich recht günstig war, dennoch die Kreditkarte an den Rand des Wahnsinns gebracht hat, es war leider Sommerschlussverkauf. Auf der anderen Seite immer wieder die Feststellung, daß ich wesentlich billiger einkaufe, wenn ich im Euroland das schwedische Konto anwende. Dafür mußten nun leider ein paar Klamotten beim Schwesterherz eingelagert werden, sie paßten nicht mehr in die Tasche, und die Fluggesellschaften sind inzwischen alle knauserig. Es sollte nunmehr nicht nur Ryanair sein, die ein Tütchen zu viel als Handgepäckt ablehnt …

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Ich muß am Montag wieder eine Gruppe führen. Es bleibt mir nichts anderes übirg, als innig zu hoffen, daß Mutter Natur ein Erbarmen hat und Einsicht zeigt, man kann einen Renke bei dieser Hitze unter keinen Umständen auf die Touristen loslassen.

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Die Tage werden leider wieder merkbar kürzer.

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Frohen Sommer!

[Stockholmer] Telegramm 14

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Die gute Nachricht: man lebt noch. Die schlechte Nachricht: man hat zu viel zu tun. Aber der Reihe nach …

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Direkt nach >>> Orkan Christian begab man sich meinerseits auf die Ö, schwedisch für Insel, was nichts anderes als Föhr meint. Die Anreise war kritisch, wie sollte man wissen, ob die Züge zwischen Hamburg und Niebüll fahren würden. Ich konnte es jedenfalls nicht, aus der Ferne, aus dem kalten Stockholm, ist ein solcher Orkan in deutschen Landen einfach eine abstrakte Sache. So abstrakt, daß die Schäden, die ich zwischen Hamburg und Niebüll aus dem Zug heraus erspähte, doch für ein Staunen sorgten. Nicht der Befriedigung irgendwelcher katastrophisch-touristischen Neigungen wegen, sondern weil man einfach nicht da war, und weil Zahlen und Geschwindigkeiten in den Nachrichten einfach nur Daten sind. Was dann auch für die Insel galt, die an vielen Stellen wirklich leiden musste. Sie sah anders aus. Teilweise hielten Häuser dem Wind nicht stand, Bäume wurden einfach umgepustet. Dennoch konnte ich vier Tage auf dem Eiland nutzen, um das Hirn mal wieder in den Ruhezustand zu bekommen, sozusagen auf null. Zum Beispiel durch Besuche am Strand, die täglich auf der Agenda standen. Und einmal mehr ist (nicht nur) mir aufgefallen, wie verdreckt doch eigentlich die Nordsee ist. Und ich denke da nicht an Öl oder Schwermetalle, ganz im Gegenteil: 

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